Ein persönlicher Nachruf von Bastian Ripper: Unser Nachbar, Vereinsaktiver und Freund Helmut Angelbeck ist tot. Ich möchte heute zurückblicken auf einen solidarischen Menschen, der sich große Teile seines Lebens für die Rechte von erwerbslosen und armen Menschen eingesetzt hat: Kämpferisch. Solidarisch. Humorvoll.

Helmut und ich lernten uns im Jahr 1997 kennen, als die Proteste französischer Erwerbsloser für ihre Rechte auch die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland beeinflussten. Als junger aktivistischer Linker war ich hiervon begeistert. Gemeinsam mit anderen Mitstreitern gründeten wir Anfang 1998 die GALIDA – Gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiative Darmstadt, die anders als ihr Namen es vorgeben mag, stets vollkommen unabhängig und unbeeinflusst von den offiziellen DGB-Strukturen war. Auch wenn sich das zahlreiche DGB-Offizielle in den zwanzig Jahren der Existenz der GALIDA sicherlich oftmals gewünscht haben 😉 Helmut war von Anbeginn der GALIDA ihr Sprecher. Dafür brauchte es keine Wahl. Er brachte hierfür so viele persönliche Kompetenzen mit, dass sich diese Frage niemals stellte.

Helmut war ein echter „Typ“ mit Ecken und Kanten, wie sie in der heutigen glattgeschliffenen Welt leider immer seltener vorkommen. Er konnte rhetorisch ganz großartig poltern und komplexe Zusammenhänge in kurzen und knappen Sätzen gekonnt auf den Punkt bringen. In den zahlreichen Aktionen der unglaublich agilen GALIDA-Truppe stampfte er so manchen Behördenleiter oder Chef einer ausbeuterischen Zeitarbeits-Firma verbal in den Boden. Er gab den bis dorthin in der öffentlichen Wahrnehmung in Darmstadt nicht vorkommenden Arbeitslosen ein Gesicht, trat konsequent für deren Rechte ein. Hunderte von Erwerbslosen wurden von ihm kostenfrei und erfolgreich für die Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber dem Arbeitsamt beraten.

An dieser Stelle könnten so viele kleine Geschichten von erfolgreicher, konkreter Gegenwehr im Alltag erzählt werden: Einer der Grundsätze der GALIDA war, dass alle Gruppenmitglieder unter dem Schutz der Gruppe stehen. Wurde ein einzelner durch behördliche Schikanen oder im Vorstellungsgespräch bei einer der damals (weit vor Mindestlohn-Zeiten) zahlreichen miesen kleinen Zeitarbeitsfirmen schlecht behandelt, erfolgte postwendend eine Antwort der gesamten Gruppe.

In zahlreichen Fällen reichte bereits die persönliche Begleitung von Helmut aus, dass sich Dinge wie von alleine erledigten: Ein Zahnarzt wollte einer Mitstreiterin für das wochenlange „Probeputzen“ in seiner Praxis keinen Lohn auszahlen. Er machte das dann in sofort und in bar, als Helmut und die GALIDA lautstark in seiner Praxis auftraten. Ein Chef einer kleinen Zeitarbeitsfirma schikanierte GALIDA-Aktive bei vom Jobcenter erzwungenen Bewerbungen zu miesen Bedingungen: Nach unserer von Helmut angeführten direkten Aktion in den Räumen der Firma gab es zukünftig keine Probleme mehr…

Helmut konnte erfrischend kompromisslos und kämpferisch sein, wenn Menschen von starken Systemen an die Wand gedrückt und deren Rechte mit Füßen getreten wurden. Und tatsächlich konnte er und seine GALIDA-Aktiven in vielen Punkten viele Veränderungen erreichen. Die Einführung des Darmstädter Sozialtickets für Bus und Bahn für Erwerbslose ist nur einer dieser Erfolge.

Als sich die GALIDA nach zwanzigjährigen Wirken 2018 auflöste, blieb Helmut weiter aktiv. Zusammen mit mir und weiteren Nachbarn war er von Anbeginn Aktiver von Zusammen in der Postsiedlung e.V., in der die solidarische Nachbarschschaft im Fokus des Handelns stand. Hier blieb er bis zuletzt aktiv.

Wir verlieren mit Helmut einen Menschen, der in seinem solidarischen Wirken und Handeln nicht zu ersetzen ist. Er hinterlässt eine große Lücke. Wir haben Jahrzehnte zusammen unter einem Dach gelebt. Zusammen gekämpft, gelacht, Erfolge und Niederlagen geteilt, gestritten. Helmut – Du fehlst!

Hier ein wirklich nur kleiner Einblick in sein politisches Leben:

(Hinweis: Vor dem Jahr 2004 hatten wir noch keine Digitalkamera, die Papierfotos sind noch nicht eingescannt, wir werden noch Ergänzungen vornehmen.)

Die Geschichte der GALIDA

Als im Winter 1997 Arbeitslose in Frankreich gegen die Kürzung ihres Arbeitslosengeldes auf die Strasse gingen, gaben sie einen wichtigen Impuls zur Entstehung von Dutzenden von Arbeitsloseninitiativen in Deutschland. Im Februar 1998 – Deutschland zählte 4,8 Millionen Arbeitslose – gründete eine Handvoll engagierter Menschen die Gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiative Darmstadt, kurz: GALIDA. Über ein Jahr lang waren wir jeden Monat vor dem Arbeitsamt präsent. Seitdem treffen wir uns einmal wöchentlich zu unserer zweistündigen Sitzung, auf der seit 1998 mehr über 100 Protestaktionen, Informationsveranstaltungen und mehr geplant wurden. So besetzten wir aus Protest gegen die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe das Büro von SPD und Bündnis90/Die Grünen, verschafften unseren Unmut gegen die Hungerlöhne von Zeitarbeitsfirmen im mehreren Aktionen Gehör, begleiteten unsere Mitstreiter zum Schutz vor üblen Arbeitsamts-Sachbearbeiter auf das Amt und nahmen an zahlreichen bundesweiten Demonstrationen in Berlin, Köln, Nürnberg, Stuttgart und Frankfurt teil.

Mit regelmäßigen Veranstaltungen informieren wir über sozialpolitische Themen und die Möglichkeiten, gegen die Sozialkürzungen Widerstand zu leisten.

Wir sind keine Leisetreter, sondern reden laut und deutlich Klartext: Für ein gutes Leben aller Menschen, egal welche soziale Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe man hat! Die GALIDA existierte von 1998 – 2018 und ist immer noch unter www.galida.wordpress.com im Internet zu erreichen.

Helmut war die gesamte Zeit Sprecher der Initiative.

Helmut – wir werden Dich nicht vergessen!

Die Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.