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Drei Monate Umsonstladen in der Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.

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Viele Theorien sind gesponnen worden: Wie wird das wohl sein, ein Ladengeschäft völlig abseits der geltenden ökonomische Regeln zu betreiben. Kein Geld? Werden nicht große Menschenmassen den Laden sofort wieder leer räumen? Oder bekommen wir sowieso nur den Schrott vorbeigebracht, den keiner mehr haben will? Spannenden Fragen, deren Antwort man am besten der realen Praxis überlässt.

Drei Monate nach der schönen Eröffnungsfeier mit Gästen aus Politik und Wissenschaft sind wir um viele Erkenntnisse reicher. Und können sagen: Wow! Unsere positive Grundhaltung wurde bei Weitem übertroffen, wir sind selbst geflasht über diese Entwicklung.

Blick in die Auslage der alten Bäckertheke…

Doch nach und nach: Von Beginn an wurde unsere Idee im Quartier in und um die Postsiedlung von einer Welle der Sympathie getragen. Nicht nur, dass unser Spendenaufruf für die Ladenmiete des Jahres 2020 im vergangenen Herbst eine tolle Summe an Spenden eingebracht hat, auch unser Aufruf zur Spendenannahme für die erstmalige Ladenausstattung führte zu einer Welle der Hilfsbereitschaft. Hunderte von Menschen haben bisher nahezu ausnahmslos schöne Dinge bei uns vorbeigebracht, die wir gerne in unserem schönen Laden präsentieren.

Erste Erkenntnis: Die Idee eines solidarischen Umsonstladens ist von Beginn an von den Menschen im Quartier getragen und unterstützt worden. 98% der Dinge, die uns gebracht werden, befinden sich in einem guten oder sehr guten Zustand. Lediglich sehr wenige Dinge müssen von uns z.B. aus hygienischen Gründen entsorgt werden.

Blick ins Schaufenster…

Die Spendenannahme ist die eine Seite – doch wer kommt vorbei und nimmt von den vielen Dingen auch wieder etwas mit? Wurde hier nur eine neue Spielart eines Sozialkaufhauses entwickelt, das im Kern Menschen in sehr prekären Lebenslagen anspricht?

Der zentrale Fokus unserer Planungen war die Errichtung eines Treffpunkts im Quartier, an dem Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Bezügen zusammenkommen: Nachbarn treffen. Schwätzchen halten. Schönen Dingen ein zweites Leben schenken. Dazu einen kostenfreien Kaffee trinken. So sieht ein ganz konkreter Baustein der Bekämpfung von Einsamkeit im Quartier aus. Kombiniert wird dies vom Grundsatz, dass wir (nicht nur) den Umsonstladen immer so gestalten, dass nicht der Hauch einer Idee aufkommt, hier würde eine Wärmestube 2.0 errichtet werden. Wenn man möchte, dass sich in den Besuchern des Umsonstladens auch die ganze Breite der Bevölkerung im Quartier abbildet, dann muss man auch ein Auge auf die Gestaltung haben: Braucht ein Umsonstladen eine aufwendige Schaufenstergestaltung? Eine Leuchtreklame? Tolle Dekoration? Blumen auf der Theke? Wir meinen: Unbedingt. Design spielt eine Rolle.

Zweite Erkenntnis: Wir freuen uns sehr, dass es uns bisher gelungen ist, das gesamte Spektrum der Quartier-BewohnerInnen anzusprechen: Jung und Alt, Arm und Reich, Deutsche und MigrantInnen, Menschen mit Hochschulabschluss bis Menschen ohne formale Bildungsabschlüsse. Alle fühlen sich bei uns wohl. Und vor allem: Bei allen scheint unser Konzept angekommen zu sein, dass die Mitnahme von schönen Dingen aus dem Umsonstladen nichts mit einer vorhandenen sozialen Bedürftigkeit zu tun hat. Alle dürfen alles mitnehmen.

Doch ist es auch in der Realität der Fall, dass der Umsonstladen einen neuen Kommunikationsort im Quartier darstellt, an dem man ein „Schwätzchen halten“ kann, einfach gerne mal vorbeischaut?

Das war und ist unser erklärtes Ziel. Und wir können auch einiges tun, dafür eine einladende Atmosphäre zu schaffen. So steht stets ein großer Stehtisch vor dem Umsonstladen: Frischer Bio-Kaffee, Zucker, Hafermilch und viele Tassen. Natürlich füllen wir die große Kanne während der Öffnungszeit 2-3 mal wieder auf. Unsere Kunden sind selbstverständlich eingeladen. Geld spielt auch hier keine Rolle. Dieser Stehtisch ist stets Anlauf- und Kommunikationspunkt, pro Öffnungstag lassen sich zwischen 15 und 20 Menschen zu einer Tasse Kaffee einladen, verweilen eine Zeit bei uns, unterhalten sich. Das finden wir großartig!

Wir wollen aber noch mehr. Oft tun sich Menschen schwer damit, ihnen nicht bekannte Menschen einfach anzusprechen. Daher braucht es oft nur ein kleines Vehikel, damit das möglich wird. Zum Beispiel tolle Verkaufstische, voll mit CD´s, Schallplatten, Büchern und mehr aus dem Umsonstladen. Hier kann man lustvoll stöbern – und ins Gespräch kommen. Mensch, die 70er Jahre – das waren Zeiten. Und hier ist sogar eine Schallplatte der Stones. Da war ich auf einem Konzert! Viele Unterhaltungen an unseren großen Outdoor-Tischen beginnen mit schönen oder kuriosen Dingen aus dem Sortiment des Umsonstladens.

Dritte Erkenntnis: Tatsächlich scheint es keine schlechte Idee zu sein, die verloren gegangenen Kommunikationspunkte im Quartier mittels eines Ladens zu ersetzen, in denen alle willkommen sind. In der Geld keine Rolle spielt. In dem man einfach sein darf, nichts konsumieren muss. Mit dem jetzigen Stand sind wir zufrieden, wollen aber noch einige Schritte weiter. Aber nicht jetzt und heute in diesem Artikel 🙂

Drei Monate, drei Erkenntnisse. Viele weitere werden folgen.

Die wichtigste Erkenntnis ist aber mit großem Abstand: Wir haben es geschafft, ein tolles Team aus mittlerweile 12 engagierten Menschen aus dem Quartier zu bilden, die mit unglaublichem Zeiteinsatz, großer Lust und viel Herzblut ein Projekt aufgebaut haben und fortentwickeln, welches eine enorme Strahlkraft ins Quartier hat. Ein großes DANKESCHÖN für dieses Engagement an dieser Stelle!

Falls Sie uns noch nicht kennen sollten: Jeden Montag und Samstag von 14:00 – 17:00 Uhr haben wir geöffnet: Bessunger Str. 132 – ehemalige Bäckerei Treusch.

Wir freuen uns auf Sie!

Die Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.