Wir hatten am Freitag in einem längeren Artikel auf diesem Blog über unsere Erfahrungen der letzten Jahre mit dem sog. Bürgerhaushalt der Wissenschaftsstadt Darmstadt berichtet. Im heutigen Teil II wollen wir über die aktuellen Erfahrungen des darin enthaltenen Projektes “Unser Projekt für die Stadt” sprechen.
„Unser Projekt für die Stadt“, der zweite Strang des Darmstädter Bürgerhaushalts 2.0, bietet Ihnen die Chance, Ihre Projektidee vorzustellen und bis zu 5.000 Euro für die Umsetzung zu erhalten.“ (Quelle: https://da-bei.darmstadt.de/page/buergerhaushalt_uebersicht )
“Unser Projekt für die Stadt” folgt einer superguten Idee: Wenn Bürgerinnen und Bürger der Stadt oder Vereine eine gute Idee für das Gemeinwohl haben, sollen sie hierüber die Möglichkeit eines kleinen Zuschuss erhalten. Maßgeblich für die Entscheidung ist das Votum einer Jury aus Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, die vom Büro der Bürgerbeauftragten federführend ausgewählt wurde und gemäss der städtischen Leitlinien hierfür moderiert und geprüft wird. Die städtische Verwaltung hat somit jederzeit die Aufsicht und vollumfassende Kontrolle darüber, welche Dinge hier unterstützt werden.
Da dieser Teil des Bürgerhaushaltes 2019 und 2020 gut funktioniert hatte, ging man sogar so weit, ein lange Zeit vorhandenes Förderprogramm der Stadt für soziale und ökologische Initiativen – die Agenda-21-Förderung – mit einem Magistratsbeschluss vom 23.09.2021 mit “Unser Projekt für die Stadt” zusammenzulegen. Dabei kürzte man jedoch die bisherigen Agenda 21 Fördermittel um 50%.
Begründet wurde dies so:
“Mit Hinblick auf die Haushaltslage wurden im Rahmen der Prüfung auch freiwillige Leistungender Stadt Darmstadt betrachtet. Hierbei wurde ersichtlich, dass aktuell mit dem vorhandenen Bürgerbudget des Bürgerhaushalts sowie dem Projektbudget der Lokalen Agenda 21, welches jährlich 21.000 Euro beträgt, zwei städtische Förderungsmöglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement bestehen. Um künftig sicherzustellen, dass sich im Sinne der Gleichbehandlungauch andere Initiativen und Privatpersonen um eine Projektförderung bewerben können, soll ein Anteil von 50 Prozent des LA-21-Budgets, das bedeutet 10.500 Euro, dem Bürgerbudget („Unser Projekt für die Stadt“) zugeschrieben werden. Die restlichen Mittel sollen ab dem Haushaltsjahr 2022 eingespart werden. Wie bisher, wird auch künftig im Sinne der Transparenz eine gewählte Bürgerjury über die Verwendung des Bürgerbudgets des- 4 -Bürgerhaushaltes abstimmen. Grundvoraussetzung hierfür ist eine vorherige Prüfung der Förderfähigkeit durch die Stadtverwaltung nach den städtischen Förderrichtlinien.”
Und weiter:
“Mit diesem Schritt soll deutlich werden, dass die Wissenschaftsstadt Darmstadt weiterhin bürgerschaftliches Engagement und insbesondere auch den Förderbedarf für Projekte zur Stärkung von nachhaltigen Zielen anerkennt. Zudem wird dadurch die Förderung von bürgerschaftlichen Projekten, die dem Gemeinwohl dienen, künftig im Rahmen eines fairen, transparenten, bürgernahen und strategischen Prozesses sichergestellt.”
Hier geht es zur konkreten Magistratsvorlage vom 23.09.2021 im Original:
Nun gut: Eine deutliche Mittelkürzung, trotzdem sollte es 2022 mit einem nun gemeinsamen Fördertopf, nämlich “Unser Projekt für die Stadt” weitergehen. Viele ökologische und soziale Initiativen, die sich mit viel Herzblut und ehrenamtlichen Engagement in der Stadt engagieren, atmeten auf.
Tatsächlich folgte dann auch für den Herbst 2022 eine Ausschreibung für eine neue Förderrunde von “Unser Projekt für die Stadt”. Abgabeschluss war der 13. November 2022.
Viele soziale, kulturelle und soziale Initiativen beworben sich mit tollen Projekten unter anderem hierfür: Die ehrenamtlichen Solar-Aktiven von heiner*energie, die bekannte Kulturinitiative “das blumen e.V.”, der Verein BackKultur Lincoln e.V., die ökologische Initiative Transition Town für eine neue Ausgabe der Wandelkarte (Verzeichnis von Sozial- und Umweltinitiativen in der Stadt) und wir von Zusammen in der Postsiedlung e.V. mit unserer Idee von “Leihen – Tauschen – Schenken – unser ehrenamtlicher Second-Hand-Klamottenladen für Darmstadt-West”.
Die Projektanträge waren eingereicht, wir hörten vom Büro der Bürgerbeauftragten, dass die Bürgerjury Anfang 2023 getagt hatte und die allermeisten der vorgelegten Anträge als seriös und förderwürdig eingeordnet hatte. Wie schon in den Vorjahren, war jetzt noch die Bestätigung des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung notwendig, dann hätte es mit den Projekten, die alle für 2023 geplant waren, losgehen können.
Doch dann passierte: Nichts.
Die Monate verstrichen, mittlerweile war es Sommer 2023. Anruf im Büro der Bürgerbeauftragten. Auskunft: Durch die OB-Wahl wäre einiges in Verzug gekommen. Aber keine Sorge, hier passiert bald etwas.
Weitere Monate verstrichen, mittlerweile war es Herbst 2023. Auf informellen Kanälen aus der Stadtverwaltung wurde uns zugerufen: Ein Stadtrat einer kleinen Oppositionsfraktion im Magistrat hätte kritische Fragen zu der Förderung der sozial-ökologischen und alternativen Initiativen gestellt. Daraufhin wäre die Magistratsvorlage zurückgezogen worden. Ob das stimmt, können wir nicht beurteilen. Es blieb erstmal ein Gerücht. Nach einem Anruf im Büro der Bürgerbeauftragten Anfang September wussten wir: Ja, die Magistratsvorlage wurde tatsächlich zurückgestellt, mehr könne man uns aber zu den Hintergründen nicht sagen.
Dann immerhin am 29.09.2023 eine offizielle E-Mail des Büro der Bürgerbeauftragten an alle AntragstellerInnen:
“Sehr geehrte Damen und Herren, wir möchten Sie heute über den Sachstand Ihres Projektantrages bzw. Ihrer Projektanträge informieren. Mit Sitzung vom 21.06.2023 wurde die Magistratsvorlage zurückgezogen. Eine Genehmigung Ihrer Projektförderanträge konnte daher nicht wie geplant erfolgen. Sobald die internen Prüfungen abgeschlossen sind, teilen wir Ihnen das Ergebnis mit. Wir bitten noch um etwas Geduld.”
Wochen später ein Anruf aus dem Büro der Bürgerbeauftragten: Man mache jetzt einen Rundruf und wolle von allen Initiativen wissen, ob diese denn schon das beantragte Projekt durchgeführt hätten? Wir sind etwas verdattert: Wie soll das möglich sein, wenn wir weder Förderzusage, noch Fördergeld noch sonst irgendetwas zum Stand unseres Antrags wissen? Außerdem dürfe man doch ein Projekt gar nicht beginnen, wenn man die schriftliche Förderzusage noch gar nicht in der Hand habe, entgegneten wir. Ach ja, dann sei es ja gut. Wir würden wieder von ihnen hören.
Dann kam plötzlich eine Antwort über die Tageszeitung Darmstädter Echo: Die Journalistin Birgit Femppel berichtete in der Ausgabe vom 08.12.2023 über eine Initiative der Fraktion der Linkspartei im Stadtparlament, die kritische Fragen zum anscheinenden Aus für “Unser Projekt für die Stadt” stellte: https://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/linke-wundert-sich-ueber-die-aussetzung-des-buergerhaushalts-3119239 Doch am Ende bleibt auch hier der genaue Verlauf und die Hintergründe nebulös. Auch weiterhin kam keine Nachricht vom Büro der Bürgerbeauftragten.
Wir entschlossen und daher am 12.12.2023 eine längere E-Mail an das Büro der Bürgerbeauftragten zu schreiben. Ein Auszug:
“Liebes Büro der Bürgerbeauftragten, nach Lektüre des Darmstädter Echo vom vergangenen Freitag sind wir ehrlich gesagt erstaunt. Bisher haben wir weder von politischer Seite, noch von Ihnen etwas zu dem aktuellen Stand unseres Antrags bei “Dein Projekt für die Stadt” gehört. Wir warten bereits seit über einem Jahr auf eine Entscheidung, werden ohne Angabe von Gründen vertröstet. Nun dieser Artikel. Uns stellen sich viele Fragen: Stimmt das? Wie stellt man sich die weitere Vorgehensweise vor? Warum informiert uns als Antragsteller eigentlich niemand, weder von Seiten der Politik, noch von der Verwaltung? (…)”
Es passierte: Wieder nichts. Zwischenzeitlich telefonierten wir mit anderen Initiativen, die wie wir einen Förderantrag gestellt hatten. Alle wussten von nichts. Viele Fragezeichen stehen im Raum. Doch keiner will an die Öffentlichkeit, aus Angst davor jemanden in der Politik zu verärgern.
Nach dem Jahreswechsel: Am 18. Januar 2024 schrieben wir eine neuerliche Mail an das Büro der Bürgerbeauftragten, in Kopie an eine weitere Initiative und weiteren Stellen der Stadt. Ergebnis: Bis zum heutigen Tag keine einzige Reaktion.
Was bleibt nun?
Wir haben beschlossen unser Projekt “Leihen – Tauschen – Schenken – unser ehrenamtlicher Second-Hand-Klamottenladen für Darmstadt-West”nicht umzusetzen. Unter solchen Bedingungen ist dies unmöglich.
Zusätzlich: Nicht nur die Gelder von 2022 werden nach Lage der Dinge nicht ausgezahlt, zusätzlich wurde im Jahr 2023 neben “Unser Projekt für die Stadt” auch “Mein Vorschlag für die Politik” eingestellt. Und somit konnten auch keine weiteren Anträge gestellt werden. Durch die geschilderte Vorgehensweise wurden den ehrenamtlichen sozialen, kulturellen und ökologischen Basisinitiativen und weiteren engagierten Bürgerinnen und Bürgern weit über 50.000 Euro gekürzt.
Eine faktische Totalkürzung von 100% im Jahr 2022 und 2023. Ohne Ersatz. Ohne Kommunikation. Ohne Begründung.
Das sind die trockenen Fakten zur Bürgerbeteiligung in Darmstadt im Jahr 2024: Bilden Sie sich ihre eigene Meinung dazu.
Die Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.