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Quartier und darüber hinaus: Schlossgrabenfest-Chef blendet soziale Komponente des neuen Eintrittssystems aus

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Die Diskussion um das neue sogenannte „Klasse statt Masse“ – Konzept des Schlossgrabenfestes, welches erstmalig in seiner seit 1999 währenden Geschichte den Erwerb einer Eintrittskarte verlangt, hält an. Das Darmstädter Echo berichtet in der Wochenend-Ausgabe über einen Teil der Kritik und verteidigt dabei die „Klasse statt Masse“ Neuausrichtung von Schlossgrabenfest-Chef Gutfried.

Es gab in den letzten Tagen deutliche Kritik an der Abkehr vom 20 Jahre lang tragenden Schlossgrabenfest-Konzept, welches sich bisher problemlos durch Sponsering, dem Verkauf von Festival-Bechern und Standmieten der Getränke- und Essensstände auf dem Fest finanzierte. Im Gegenzug hatten alle Darmstädterinnen und Darmstädter die Möglichkeit, kostenfrei den auftretenden Bands zu lauschen. Oder einfach nur mal ein Stündchen mit Kind und Kegel über das Fest zu spazieren, Pommes zu essen und eine Cola zu trinken. Es spielte keine Rolle, ob man einen kleinen oder großen Geldbeutel hatte, Arbeitslosengeld bezieht oder wegen eines Handicaps nur Grundsicherung bekommt. Alle konnten dabei sein. Das war die großartige Idee. Festivals mit Eintritt gibt es hingegen wie Sand am Meer.

Diese soziale Komponente, obwohl sie x-fach geäußert wurde, wird von Gutfried zwar gehört, aber mit seinen Äußerungen bewusst ins Lächerliche gezogen. Gegenüber dem Darmstädter Echo sagt er, die Kritik treffe ja auch auf jedes Straßencafé oder die Geisterbahn beim Heinerfest zu. Zitat:„Da kann ich mich auch nicht hinsetzen und sagen, ich möchte meinen Kaffee umsonst trinken oder umsonst mitfahren“.

Rhetorisch gut gemacht. Der schnelle, emotional denkende Leser wird erst einmal sagen: Ja, das geht doch nicht! Kostet ja alles Geld! Wenn man sich aber einmal die Mühe macht, sich den Gesamtkontext anzusehen, dann wird deutlich in welch komfortabler Situation sich Gutfried mit seinem Lebenswerk Schlossgrabenfest seit Jahrzehnten befindet. Auch Dank uneingeschränkter lokalpolitischer Unterstützung.

Die ganze Geschichte:

  • Gutfried und sein Team hatten es 1999 geschafft, den damaligen Oberbügermeister Peter Benz von der Idee eines Innenstadt-Musikfestes zu begeistern. Ihr Verdienst ist es, dieses tolle Musikfest Schritt für Schritt aufgebaut zu haben. Sie sind dafür von den politischen Handlungsträgern und der städtischen Verwaltung sehr stark unterstützt worden. Dafür gab es für alle DarmstädterInnen ein tolles Musikfest. Ein wirklich toller Deal für beide Seiten!
  • Gutfried konnte mit der Reputation und der Prominenz dieses Innenstadt-Festes darüber hinaus ein profitables Veranstaltungs-Unternehmen aufbauen und zu einem echten Faktor in der Branche werden.
  • Durch das neue „Klasse statt Masse“-Konzept, in dem Gutfried den Aufbau eines kommerziellen, auf Eintrittsgeld basierenden Schlossgrabenfestes vorstellt, ist diese oben genannte – sozusagen implizit gesellschaftliche Vereinbarung – am Ende. Nach seiner Ankündigung hat er vor, dass Schlossgrabenfest als „professionelles“ Festival zu entwickeln. Nun dürfen nur noch die dabei sein, die das entsprechende Geld für die Tickets haben.
  • Damit stellt sich aber die politische Frage: Kann Gutfried das so einfach so beschließen? Oder ist das nicht eine Frage, die im Stadtparlament debattiert gehört?
  • Weiterhin stellt sich die Frage, ob es eigentlich für solch ein professionelles Musikfestival mit Eintrittssystem, mitten in der Innenstadt, einer öffentliche Ausschreibung bedarf? Es gibt in Deutschland oder auch in Südhessen bestimmt 5-6 weitere Veranstalter, die dieses Fest gerne veranstalten würden. Welche Verträge gibt es mit Gutfried und warum darf zukünftig er und nicht andere der Veranstalter sein? Gibt es keinen Wettbewerb, wenn sich die Geschäftsgrundlage ändert?
  • Vom Heinerfest wissen wir, dass sich ausnahmlos alle Buden und Karusell-Betreiber jedes Jahr neu um einen Platz bewerben müssen. Der Heinerfest-Ausschuss organisiert mit den Einnahmen eine riesengroße Bandbreite an kostenfreien Veranstaltungen und auch Konzerten. Wo ist der Unterschied zum Schlossgrabenfest?
  • Gutfried argumentiert, im Straßencafe könne man ja auch nicht „Kaffee umsonst trinken“ oder bei der Geisterbahn „umsonst mitfahren“. Damit führt er den schnellen Leser aber bewusst hinters Licht. Das normale Straßencafé oder die Geisterbahn unterscheiden sich gleich in mehreren Aspekten von der komfortablen Situation von Gutfried: 1. Sie haben keine Sponsoring-Einnahmen von Merck, Sparkasse, Entega oder Darmstädter Echo (VRM) in Höhe von mehreren zehntausend Euro. 2. ein Straßencafé oder eine Geisterbahn haben nicht die Macht, eine halbe Innenstadt abzusperren und den Zugang zu ihren Dienstleistungen vom Kauf eines Soli-Getränkebechers abhängig zu machen, ohne den man im abgesperrten Bereich nichts zu trinken bekommt. 3. Sie erhalten keine Standmieten in Höhe von mehreren zehntausend Euro ausgezahlt.
  • Der zentrale Punkt ist aber: Niemand hat irgendwo gefordert, dass er kostenlos Kaffee trinken möchte, umsonst Geisterbahn fahren will oder Bratwurst for free haben möchte. Die Kritik entzündet sich an dem Umstand, dass aus einem bisher (20 Jahre!) offenen Fest für ALLE plötzlich ein Fest mit Eintritt gemacht wird, bei der eine Familie mit zwei Kindern, sofern sie älter als fünf Jahre sind, für einen Abend satte 80,- Euro an der Abendkasse zahlen müssen. Natürlich ohne Getränke oder Essen. Das ist doch ein krasser Unterschied! Man sollte doch nicht so tun, als sei das ein ganz normaler Zustand, wie es das Darmstädter Echo in der Wochenendausgabe tut.
  • Gutfried hingegen hat weiterhin Sponsoring-Einnahmen, Mieten aus dem Standgeld + die neuen Eintrittsgelder.

Wir erleben schon seit längerer Zeit, wie unsere Gesellschaft immer stärker auseinanderdriftet. Auf der einen Seite die, die an einem Abend ohne mit der Wimper zu zucken 150,- Euro mit der Familie auf dem Schlossgrabenfest ausgeben können, auf der anderen Seite immer mehr, die im Supermarkt realisieren, dass die Schale Erdbeeren für 5,- Euro für sie schon Luxus ist. Das ist auf Dauer sozialer Sprengstoff. Wenn der Schlossgrabenfest-Chef sein neues Konzept „Klasse statt Masse“ nennt, dann spiegelt das eine ungeheuerliche Dekadenz wider.

Unser Oberbürgermeister Jochen Partsch hat jahrelang für die Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte gearbeitet. Wir werden gespannt beobachten, wie die Debatte weiter verläuft…

Die Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.