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Soziale Hilfe: Willkür bei der Krankenkasse – nicht mit uns!

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Stellen sie sich einmal vor, sie erleiden einen schweren Herzinfarkt. Werden über 10 Minuten reanimiert. Sind mehr tot als lebendig, als hochengagierte Rettungskräfte sie wieder ins Leben holen. Solche Erlebnisse haben meistens gesundheitliche und psychische Folgen. Auf einmal können sie nicht mehr richtig laufen. Trotz langer stationärer Reha-Maßnahme schaffen sie es nur mit einem Rollator, mit kleinen Tippelschritten und kurzen Strecken, überhaupt noch das Haus zu verlassen. Am Leben teilzunehmen.

Das kann einen depressiv machen. Man kann den Glauben ans Leben verlieren. Die Ehe geht nach diesem tragischen Ereignis mit all seinen weiteren sozialen Folgen zu Bruch, sie werden obdachlos. Das alles ist unserem Nachbarn Mimo passiert.

Doch aufmerksame Nachbarn waren da, Aktive von Zusammen in der Postsiedlung haben damals schnell gehandelt, in weiterer Folge auch wieder eine schöne Erdgeschoss-Wohnung im Quartier besorgt. Zusammen mit unserem Partner-Verein „Rückenwind – solidarische Quartierarbeit im Darmstädter Westen e.V.“ die Hilfe organisiert. Mehrfach die Woche sind wir da. Seit Jahren.

Vieles ist erreicht worden. Mimo geht es gut. Doch trotz einer erkämpften weiteren medizinischen Reha-Maßnahme, trotz von uns angeleiteten Beinmuskel-Training, trotz täglicher Bewegung: Das Laufen bleibt eine Herausforderung. Der eigenständige Besuch der Innenstadt ohne fremde Hilfe – für den ehemaligen Pizzeria-Besitzer absolut undenkbar.

Ein Elektro-Caddy mit zwei Hinterrädern
Mimo, Uschi und Assistent Sven

Doch es gibt technische Hilfe: Schöne Elektro-Caddy´s. Die fahren 6 km / pro Stunde. Man kommt gemütlich und ohne Gefahren von der Postsiedlung in die Innenstadt. Ein solcher Caddy muss bei der Krankenkassen beantragt werden, man bekommt ihn dann als Dauerleihgabe. Mit Servicevertrag vom Sanitätshaus.

Mimo hatte einen solchen Caddy schon vor Jahren selbst beantragt. Eine prompte Ablehnung der Krankenkasse folgte. Man gehe davon aus, dass er infolge des medizinischen Vorfalls nicht mehr in der Lage wäre, einen solchen 6km/h – Caddy sicher zu fahren, sagte die Kasse. Damals hatte Mimo sogar noch ein altes Auto, mit dem er unfallfrei unterwegs war.

Als unsere Unterstützung vor einiger Zeit begann, überzeugten wir ihn zur Abgabe des Autos, alleine schon wegen der Kosten. Und beantragten den Elektro-Caddy erneut. Die Krankenkasse antwortete lange Zeit später, dass nun die Atteste der behandelnden Ärzte notwenig seien. Selbstredend haben wir mit ihm dort Termine ausgemacht, haben ihn dazu begleitet. Ergebnis: Alle Ärzte waren der Ansicht, dass ein solcher kleiner Caddy das richtige Gefährt sei, um Mimos Mobilität zu gewährleisten.

Hütchen-Parcour

Wir schickten alles an die Krankenkasse. Viele Monate vergingen. Es folgte eine weitere Ablehnung. Man gehe weiter davon aus, dass er nicht in der Lage sei, ein solches Gefährt sicher im Straßenraum zu fahren. Daher stellten wir Widerspruch, begründeten mit den eindeutigen Attesten, welche die Krankenkasse ja bereits kannte. Viele weitere Monate vergingen. Mittlerweile waren eineinhalb Jahre ins Land gegangen. Wir drohten mit einer Klage vorm Sozialgericht. Da unser Quartierarbeiter einen Master-Abschlusss in Sozialrecht hat, ist er darin geübt.

Dann kam der Widerspruchsbescheid. Eine erneute Ablehnung! Mimo müsse in einer offiziellen Fahrtauglichkeitsprüfung beim TÜV unter Beweis stellen, dass er wirklich diese Gefährt im Schneckentempo im Straßenraum sicher bewegen könne.

Unser Quartierarbeiter telefonierte mit dem TÜV. Dort sagte man uns im persönlichen Gespräch, dass man das von einigen Krankenkassen schon kenne. Es gehe wohl eher darum, hohe Hürden für die Genehmigung von einem solchen Caddy aufzubauen. Das denken wir mittlerweile auch: Die allermeisten Berechtigten werden schon vorher ihre Bemühungen einstellen. Bei Zusammen in der Postsiedlung und Rückenwind machen wir sowas nicht. Wir beißen uns da durch…

Dann die Auskunft vom TÜV: Es könnten Kosten bis zu 2500,- Euro anfallen. Wie bitte? 2500,- Euro? Ein günstiger Caddy kostet neu 1900,- Euro, gebraucht noch weniger.

Aber: Wir bleiben am Ball. Wieder Kontaktaufnahme zur Krankenkasse. Wir schildern schriftlich die Situation und schrieben auch gleich vorsorglich, dass wir nunmehr Klage einreichen würden, falls die Kosten für diese Fahrtauglichkeitsprüfung nicht übernommen würden.

Denn: Wenn eine Krankenkasse etwas verlangt und vor der Erfüllung dieser Maßnahme (oder auch Hürde) eine Leistung verweigert, dann muss sie auch die Kosten hierfür tragen, wenn die Person das aus finanziellen Gründen nicht kann.

Dann ging es plötzlich ganz schnell: In einer „Einzelfallentscheidung“ genehmigte die Krankenkasse die anfallenden Kosten dieser Fahrtauglichkeitsprüfung. Hurra! Wir sind dem Ziel einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Doch wer eine Prüfung macht, der muss sich auch vorbereiten. Mimo meinte zwar: „Ich muss nicht üben, das mache ich ganz locker“, aber wir konnten ihn dann doch überzeugen, mal einen ausgiebigen Testlauf zu machen.

Unser Aktiver Sven, der auch engagierter Rückenwind-Mitarbeiter ist, bereitet solche Sachen immer ganz großartig vor. Und so kam es dann, dass auf dem leeren Parkplatz von Edeka Patschull in der Eschollbrücker Straße eine Elektro-Caddy Teststrecke vorbereitet wurde. Ganz viele Hindernisse wurden aufgebaut, die es unfallfrei zu umfahren galt. Sven hatte sich sogar noch besondere Situationen ausgedacht, wie ein plötzlich auftauchender Ball (Vollbremsung nötig). Großartige Vorbreitung, großartige Umsetzung! Großer Dank an Sven!

Aber woher nehmen wir einen Caddy? Da half unsere Nachbarin Uschi, die sofort und ohne zu zögern zustimmte und auch persönlich mit zum Trainig kam. Bei Rückenwind und im Quartier helfen wir einander, sagt sie. Großes Dankeschön dafür!!!

Mimo ging es an und absolvierte die erste Runde in dreieinhalb Minuten. Zuvor hatte er schon eine Art theoretische Prüfung absolviert, bei der wichtige Regelungen im Straßenverkehr nochmals wiederholt wurden.

Nach einger Zeit stand fest: Mimo kann das. Mimo schafft das.

Daher werden wir jetzt den TÜV kontaktieren. Damit alles offiziell festgestellt wird. Wenn alles gut geht, bekommt Mimo dann nach bald drei Jahren Bemühungen seinen Caddy.

Wir werden weiter berichten…

Die Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.