Wir alle kennen die Debatte: Städte, Bundesländer und die Bundesrepublik haben wieder einmal zu wenige Steuereinnahmen, um die notwendigen Ausgaben und Investitionen zu tätigen. Keine einfache Situation für die handelnden PolitikerInnen. Das eine gerechtere Steuerpolitik Teil einer Lösung sein könnte, um große Vermögen stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen, soll heute an dieser Stelle nicht das Thema sein.
Das komplizierte Thema öffentliche Finanzen kennt nämlich viele Seiten. Da wir ein solidarischer Nachbarschaftsverein sind, möchten wir anhand kleiner konkreter Beispiele aus unserer Sozialen Hilfe deutlich machen, wie man an vielen Stellen in der Summe viel Steuergeld sparen und damit die Situation betroffener Menschen sogar verbessern kann.
Unsere These: Mit weniger Geld das Leben von Menschen besser machen.
Das klingt unglaublich? Ist es aber nicht.
Wie so häufig im Leben ist es aber auch hier so, dass man gute Ergebnisse eben nur dann erhält, wenn man sich mit Sachverhalten eingehend beschäftigt und Dinge mit Engagement anpackt. Leider neigen politische Akteure häufig dazu, einen Mangel an finanziellen Ressourcen mit der „Methode Rasenmäher“ zu begegnen. Also eine pauschale Kürzung von bspw. Leistungen an Vereine oder Institutionen um 10, 20 oder 30%. Dies trifft dann auch Akteure, die mit ihrer Arbeit sehr prägnant Steuergeld einsparen helfen. Als „Dank“ erhalten diese dann ebenso deutlich weniger Geld. Eine verrückte Situation!
Werden wir konkret:
Unsere Soziale Hilfe des Vereins unterstützt – finanziert aus Spendengeldern und möglich gemacht von ehrenamtlichen Aktiven – ältere Menschen, Menschen mit Behinderung oder Menschen mit chronischer Erkrankung im Quartier. Die größte Gruppe stellt hierbei die der Seniorinnen und Senioren da. Häufig nach Tod des Partners als alleinlebende Menschen.
Mit zunehmenden Alter ist es für nicht wenige SeniorInnen wichtig, dass sie in ihrem Alltag Unterstützung erfahren. Sei es für den Einkauf, den Arztbesuch oder das Angebot sozialer Kontakte. Unser SeniorInnen-Mittagstisch jeden Mittwoch ist ein schöner und geselliger Treffpunkt, ebenso das Freitagscafe oder unser Kiosk 1975 – um drei Beispiele zu nennen. Die Möglichkeit solcher Treffpunkte im Quartier ist für viele Menschen bedeutsam. Und gleichzeitig auch gesundheitsfördernd, wie wir aus der Einsamkeitsforschung wissen.
Unser Konzept der unmittelbaren Nachbarschaft bedeutet, dass alle ehrenamtliche Aktive und Mitarbeitende selbst hier wohnen müssen. Ein bedeutsamer Unterschied im Umgang miteinander. Im Kontrast zu Strukturen, bei denen Mitarbeitende persönlich rein gar nichts mit dem Quartier für das sie arbeiten zu tun haben. An anderer Stelle werden wir das notwendigerweise noch vertiefen, weil es neben der persönlichen Haltung ein zentrales Qualitätselement darstellt.
Das Beispiel von Frau X.:
Eine alleinlebende ältere Dame bei uns im Quartier, viele Jahre lang Stammgast bei unserem SeniorInnen-Mittagstisch, obwohl eine demenzielle Erkrankung ihr schleichend immer mehr Autonomie nahm. Ihr erklärter Wunsch: Sie wollte mit ihrer Katze so lange wie möglich in ihrer eigenen Erdgeschoss-Wohnung leben bleiben. Selbst als sie es nicht mehr schaffte zu unserem Mittagstisch zu kommen, unterstützten ehrenamtlich Aktive von uns Frau X. in der Umsetzung ihres Wunsches. Wir kauften ein, wir besorgten Medikamente, wir waren ansprechbar. Und hatten im Blick, dass sich Frau X. gut um sich selbst und ihre Katze kümmern konnte. Schätzungsweise drei-vier Jahre konnten wir trotz fortschreitender Erkrankung auf diese Art und Weise ihrem Wunsch nach Verbleib in ihrer Wohnung möglich machen. Erst mit über 90 Jahren mussten wir intervenieren, eine gesetzliche Betreuung beantragen und gemeinsam ihren Umzug in ein Altenheim im Quartier gestalten. Dort wird sie von Aktiven von uns bis heute besucht. Ihre Katze lebt jetzt behütet bei einem anderen Aktiven von uns.
Diese drei-vier Jahre mehr Zeit in ihrer eigenen Wohnung haben nicht nur ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben in der eigenen Wohnung maximal ermöglicht, sie haben dem Haushalt der Wissenschaftsstadt Darmstadt auch viele zehntausend Euro gespart. Warum?
Die Pflegeversicherung zahlt nur einen Teilbetrag der gesamtem Kosten für einen Platz im Altenheim. Ein großer Brocken muss durch städtische Finanzen gestemmt werden, wenn die Rente der Betroffenen nicht kräftig hoch ist. Dieser Haushaltsposten heißt „Hilfe zur Pflege“ und beträgt 8,5 Millionen Euro pro Jahr. Nur für Darmstadt. Kaum jemand in der Öffentlichkeit spricht hierüber. Im zweiten Teil des Artikels werden wir eine Kostenaufstellung der Kolleginnen und Kollegen von Hiergeblieben e.V. aus Kranichstein präsentieren, die deutlich macht um welche großen Summen es hier bereits im Einzelfall geht.
Das Beispiel von Frau Y.:
Auch Frau Y. war über Jahren hinweg Stammgast bei unserem SeniorInnen-Mittagstisch und Freitagscafe. Aufgrund von eintretenden körperlichen Erkrankungen gab es ab einem gewissen Punkt die Situation, dass sie hieran nicht mehr teilnehmen konnte und wollte. Wir respektierten dies und organsierten mit zwei Aktiven ein Netzwerk, welches den Einkauf, Hilfe bei bürokratischen Angelegenheiten, Finanzierung der geliebten Mal-Utensilien und vieles mehr ermöglichte. Ihr Wunsch war der möglichst lange Verbleib in ihrer Wohnung – wir unterstützten sie dabei. In diesem Kontext wurde mit einer nicht kleinen Summe der Pflegeversicherung ihr Bad komplett barrierefrei umgebaut. Inklusive erhöhtem Toilettensitz. Frau Y. profitierte sehr davon. Auch hier trat dann nach längerer Zeit eine Situation ein, dass sie aufgrund voranschreitender Erkrankung nicht mehr in ihrer Wohnung bleiben konnte. Sie lebt heute in der Stadt ihrer Schwester in einer Pflegeeinrichtung und ist nach eigenem Bekunden zufrieden. Hier konnte der Einzug in ein Pflegeheim mindestens zwei-drei Jahre hinausgezögert werden. Ebenfalls zur Zufriedenheit der Betroffenen und unter Einsparung von vielen zehntausend Euro Kosten bei „Hilfe zur Pflege“ im Haushalt der Stadt Darmstadt.
Alleine die im Fall Frau X. und Frau Y. insgesamt eingesparten kommunalen Gelder übersteigen die Summe des jährlichen Zuschuss der Wissenschaftsstadt Darmstadt für unseren Verein Zusammen in der Postsiedlung e.V.. Und da wir nicht nur Frau X. und Frau Y. unterstützen, kann man mit Recht behaupten, dass die solidarische Quartierarbeit unseres Vereins eine wahre „Cashcow“ (Ökonomiesprache für Geldkuh, Goldesel oder Melkkuh) für die Wissenschaftsstadt Darmstadt darstellt.
Wir sparen – zur Zufriedenheit aller Beteiligten – dem städtischen Haushalt deutlich mehr Geld ein, als wir aus dem städtischen Haushalt erhalten. Dabei ist die Soziale Hilfe ja nur ein kleiner Teil unserer Arbeit mit über 80 ehrenamtlich Aktiven. Überall nur Gewinner – es könnte so schön sein…
Trotzdem ist unserem Verein mit der „Methode Rasenmäher“ im letzten Jahr ein fünfstelliger Eurobetrag an städtischen Zuschüssen gekürzt worden, inkl. der nicht berücksichtigten Erhöhungen und Preissteigerungen der letzten Jahre. Wir sind finanziell am kämpfen und hoffen auf eine Rettung durch einen Liquiditätszuschuss einer privaten Stiftung. Wir müssen viel Zeit investieren um finanziell über Wasser zu bleiben, anstatt für Menschen im Quartier da zu sein.
Und das, obwohl man mit der Verbreiterung und Verstetigung unseres Ansatzes von solidarischer Quartierarbeit im gesamtstädtischen Kontext hunderttausende bis Millionen Euro einsparen könnte. Die „Hilfe zur Pflege“ ist im sozialen Bereich nur ein Haushaltsposten von vielen, in denen – wenig hinterfragt und stetig steigend – hohe Millionenbeträge ausgegeben werden. Alleine mit einer Ergänzung unserer Quartierarbeit durch eine Krankenschwester / Krankenpfleger könnten wir die Einspareffekte noch weiter steigern, da wir viel präventiver arbeiten könnten: Es wurde aus Gründen der Finanzierung abgelehnt.
Das Beste zum Schluss: Durch die gute Kooperation mit der Bauverein AG, konnten wir die Wohnung von Frau Y. an eine andere Dame mit Behinderung aus dem Quartier vermitteln, die auch einen Anspruch zum Umbau eines barrierefreien Badezimmers hat. Durch unsere passgenaue Vermittlung in diese Wohnung spart die Pflegeversicherung nun 5000,- Euro ein. Zum Wohle aller. Unsere Arbeit zur Vermeidung eines vorzeitigen Pflegeheimaufenthaltes wird auch in diesem Fall wieder zehntausende Euro einsparen. Wenn man im Quartier nahe bei den Menschen ist, können Lösungen möglich sein, deren Möglichkeit man an manchem Schreibtisch in einer Behörde nicht einmal im Ansatz für möglich hält. Wir können Türe öffnen, deren Existenz viele Entscheider überhaupt nicht erkennen können.
Wir brauchen weniger Bürokratie, weniger „Steuerungsgruppen“ zur Verwaltung des Status Quo und mehr Mut und Leidenschaft auch einmal verrückt anmutende Wege zu beschreiten. Und: Man muss die Aktiven in Ruhe machen lassen. Es gibt hierbei für alle Seiten viel zu gewinnen – während eine soziale Kürzungspolitik nach der „Methode Rasenmäher“ nur Verliererinnen und Verlierer kennt.
Fortsetzung folgt.
Die Postsiedlung – Solidarität findet Stadt.